Jean-Claude Trichet: „Zentralbanker sind die Prediger in der Wüste“
Der ehemalige EZB-Präsident mahnte in seinem vielbeachteten Vortrag am 10. Institutional Money Kongress mehr Strukturreformen seitens der Politik ein und sprach sich unter dem Applaus institutioneller Investoren gegen ein von der EZB finanziertes Helikoptergeld aus.
„Die Krise im Jahr 2008 hatte das Potential, schlimmere Ausmaße als die 1929er-Krise zu erreichen“, erklärte Ex-EZB-Präsident Jean-Claude Trichet in seiner Keynote-Speech am 10. Institutional Money Kongress 2017. Der Franzose, der für viele Marktexperten als einer der wichtigsten Akteure bei der Rettung des Euro-Finanzsystems gilt, ließ die Krisenära, die für ihn schon 2007 begonnen hatte, noch einmal Revue passieren. Darauf aufbauend, spannte er den Bogen zur derzeitigen Lage und arbeitet heraus, ob neues Ungemach droht.
Eine Krise, viele Gründe
Im Rahmen seiner Tour d'Horizon erinnerte Trichet an die zahlreichen Gründe der damaligen Blase sowie deren spektakuläres Platzen: Vor allem die in den Nullerjahren massiv steigende Bedeutung von Verbriefungen, neuartigen Derivaten und Schattenbanken sorgte in Verbindung mit hohem Leverage auf verschiedensten Ebenen für eine gestiegene Interkonnektivität zwischen den weltweiten Finanzakteuren und Marktsegmenten. Befeuert und dynamisiert wurde diese Entwicklung durch die Globalisierung einerseits und moderne Informationstechnologien andererseits. Das war aber nicht der einzige Treibsatz für den „perfekten Sturm“.
Fehleinschätzungen allerorten
Einerseits glaubten damals viele Akteure an lang anhaltende, niedrige Inflationsraten und Zinsen sowie geringe Volatilitäten sowie stets funktionierende, hochliquide Märkte, um allfällige Verbindlichkeiten problemlos refinanzieren zu können. Vor diesem Hintergrund waren auch die Risikomanagementsysteme zahlreicher Banken und Investoren nicht effizient genug, um auf „Unerwartetes“ zu reagieren. Vor der Krise glaubten nicht nur viele Marktteilnehmer, sondern auch Zentralbanker an „perfekte“ und effiziente Märkte. Sie erachteten extern vorgegebene (staatliche) Regulierung als unnötig bzw. kontraproduktiv. Aufgrund dieser Fehleinschätzung finanzierten viele ihre Engagements auf Kredit, was ihnen im Verlauf der Krise zum Verhängnis wurde. Trichet räumte in seinem Vortrag ein, dass auch er bzw. viele andere Zentralbanker und Aufseher zumindest einige der genannten Punkte besser vorhersehen hätten können und sollen.
Lessions learned? Mitnichten!
Dem Franzosen machen die zunehmende Verschuldung, sowohl im privaten, wie auch insbesondere im öffentlichen Sektor große Sorgen. Er nannte auch Zahlen: So betrug die weltweite Verschuldung 2008 ca. 250 Prozent des globalen BIPs und ist per Ende 2015 auf rund 275 Prozent angestiegen. Dafür verantwortlich ist eine zunehmende Verschuldung in den Emerging Markets, insbesondere China. War die Krise 2008 „nur“ eine Krise in den OECD-Ländern, könnte und wird die nächste Krise auf globaler Ebene stattfinden und entsprechend größer ausfallen. „Wir müssen sehr vorsichtig sein und darauf vorbereitet sein“, warnte Trichet. Vor allem die immer stärkere Vernetzung bereitet Sorge, da sich damit Krisen wesentlich schneller ausbreiten können. Auch seien die derzeitig noch immer angewendeten Zentralbank-Tools zur Krisenbewältigung in ihrer Langzeitwirkung noch nicht ausreichend erprobt und erforscht. Auch von dieser Ecke könnten neue, wesentlich komplexere Gefahren ausgehen.
Reichliche Liquidität und ihre Schattenseiten
Nachdem Trichet kurz auf die wesentlichen Ziele zur damaligen Krisenbewältigung (Wiederbelebung der ausgetrockneten Geld- und Kreditmärkte, ausreichende Liquiditätsversorgung der Banken) eingegangen war, sprach er über die Implementierung der unkonventionellen EZB-Maßnahmen und deren aktuelle Folgen. Trichet befürchtet, dass durch die üppige Liquiditätsversorgung Investoren einerseits immer stärker ins Risiko gedrängt würden und dadurch Vermögenspreisblasen entstünden. Sorgen bereitet Trichet, dass Parlamente und Regierungen den „geldpolitischen Rückenwind“ der Zentralbanken als selbstverständlich erachten und nötige Reformen verschleppen. Trichet wähnt sich hier eines Sinnes mit Nachfolger Mario Draghi und mahnt von den Regierungen entschlossene Strukturreformen ein. Investoren warnte er angesichts steigender Verschuldungsquoten davor, zu hohe Risiken einzugehen. „Die Lektionen der Krise wurden nicht verstanden!“
Zentralbanken mussten sich neu erfinden
Gegen Ende seines Vortrages sprach Trichet jene Aufgabengebiete an, die Zentralbanken seit der Krise neu übernehmen mussten.
Was das Thema „Aufsicht“ anbelangt, spielen heute Zentralbanken eine wesentlich stärkere Rolle als vor der Finanzkrise.
Damit wird sichergestellt, dass ein anderes wichtiges EZB-Ziel, nämlich „die Vermeidung systemische Risiken“ effizienter erreicht werden kann. Im ESRB sitzt beispielswiese die EZB mit am Tisch. Damit hat sich das Aufgabengebiet der EZB über die traditionelle Geldpolitik hinaus um weitere Aufgabenfelder erweitert.
Die Bedeutung der „Kommunikation“ stieg im Zuge der Krisenbewältigung. Trichet führte Pressekonferenzen im Anschluss an wichtige EZB-Treffen ein, um der Öffentlichkeit zeitnah die jüngsten Beschlüsse mitzuteilen und die Interpretationshoheit über die Maßnahmen zu behalten. Andere führende Notenbanken (FED, BoE, BoJ) übernahmen diese Vorgangsweise, um Missinterpretationen, wie sie etwa bei Bernankes Tapering Tantrum geschahen, hintanzuhalten.
Wichtig ist für Zentralbanken im Besonderen die „Preisstabilität“. Er habe am Ende seiner Amtszeit 2011 das zweiprozentige Inflationsziel fast punktgenau erreicht, merkte Trichet nicht ohne Stolz an. Überhaupt sei eine Konvergenz unter den Zentralbanken auszumachen, was die Festlegung des Inflationsziels betreffe.
Kritische Fragen des institutionellen Publikums
Auf die Frage eines Investors betreffend den Einsatz von „Helikopter“-Money, das bekanntlich Lord Turner in seiner Keynote am Vortag ins Spiel brachte (Institutional Money berichtete), kam von Trichet ein schnelles "Nein" zu dieser Maßnahme. Im Übrigen seien Geldgeschenke nicht von der EZB, sondern von der Fiskalpolitik zu finanzieren, worauf das Publikum im Frankfurter Congress Center lautstark applaudierte.
Ungehörte Rufer in der Wüste
Bei einer anderen Frage ging um mögliche „Verteilungsungerechtigkeiten“, da durch die reichliche Liquiditätsversorgung der Zentralbanken sich tendenziell Wohlhabende über steigende Anleihe- und Aktienkurse freuen könnten, nicht jedoch der einfache Bürger. Trichet meinte, dass ohne QE-Programme der Zentralbanken eine schlimmere Depression als in den 1930er Jahren gedroht hätte und diese Maßnahmen daher notwendig waren. Er warnte noch einmal davor, dass die Regierungen und viele andere Akteure sich zu sehr auf die Unterstützung der Zentralbanken verlassen würden und dass sich dies irgendwann rächen könnte. Daher habe er mehrfach Briefe an die nationalen Finanzminister geschrieben, endlich entschlossene Reformschritte zu setzen. „Wir Zentralbanker sind die Prediger in der Wüste“, meinte Trichet bedauernd. Ob er und Mario Draghi, der regelmäßig dieselbe Ansicht äußert, jemals gehört werden? (aa/kb)