Institutional Money, Ausgabe 2 | 2023
I m Jahr 1776 gelangte der Schotte Adam Smith in „The Wealth of Nations“ auch zu dem Schluss, dass Arbeits- teilung zu Wirtschaftswachstum führt. Spätestens seit damals weiß man, dass internationaler Handel etwas Gutes ist – tatsächlich lief die Globalisierung aber schon seit Beginn der Zivilisation.Nach demZweitenWeltkrieg nahm die Dynamik zu, und nach dem Ende des Kalten Krieges explodierte sie förmlich. Zwischen 2000 und 2020 stieg das globale BIP von etwa 34 auf rund 86 Billionen US-Dollar (+145%). Das Welthandelsvolumen erhöhte sich parallel dazu laut World Trade Organization von rund 6,2 auf fast 22 Billionen US-Dollar (+242%). Zu den größten Profiteu- ren dieses Trends zählten die Aktienbörsen, die nach Anga- ben der Weltbank mit einemWertzuwachs von 20,8 auf fast 93,2 Billionen US-Dollar (+348%) überproportional zuleg- ten.Man muss aber davon ausgehen, dass dieser Hebeleffekt in beide Richtungen wirkt; wenn Weltwirtschaft und Welt- handel über einen längeren Zeitraum hinweg stagnieren oder gar schrumpfen, wäre die Party für Aktionäre mit größ- ter Wahrscheinlichkeit vorerst einmal vorbei. Dass sich die Handelsbeziehungen zwischen den USA und China infolge der geopolitischen Spannungen zwischen diesen Groß- mächten verschlechtert haben, ist hinlänglich bekannt. Neuerdings scheint sich auch das Klima zwischen der EU und China abzukühlen. Aus Anlegersicht wäre es daher ver- nünftig, die Frage zu stellen, ob man sich gegen die Folgen eines rückläufigen Welthandels absichern kann. Die Ant- wort lautet: teilweise. Nicht alle Staaten sind gleichermaßen vom Außenhandel abhängig. Wer also annimmt, dass eine Deglobalisierungsphase bevorsteht,müsste verstärkt in Volks- wirtschaften umschichten, die darunter weniger leiden. Eine Forschungsarbeit von Andrés Rodríguez-Clare und Arnaud Costinot aus dem Jahr 2018 zeigt etwa, dass der Import- anteil der USA bei nur acht Prozent des BIP liegt. Sieht man sich das Ranking der Außenhandelsabhängigkeit (gemessen an der Trade-to-GDP Ratio) an, zeigen sich beträchtliche Unterschiede. Während diese Kennzahl laut Weltbank für die USA 2021 bei 24,6 Prozent lag, ist der OECD-Schnitt 56 Prozent.Neben den USA finden sich unter den entwickel- ten Volkswirtschaften einige, die allfällige Handelskriege oder einen generellen Rückgang des Welthandels besser wegstecken könnten, dazu zählen Japan, Kanada, Australien, Neuseeland, aber auch skandinavischen Staaten. Es ist natür- lich nicht nur die Trade-to-GDP Ratio, die über die Resi- lienz eines Landes Auskunft gibt, auch die Frage nach den ausländischen Direktinvestitionen ist zu stellen. Die Zahl multinationaler Unternehmen, die in einem Staat ansässig sind, spielt ebenfalls eine Rolle. Und schließlich sind es poli- tische Verflechtungen und Abhängigkeiten, die darüber ent- scheiden, wie sich Störungen im Welthandelsgefüge auf Aktien und Anleihen der Unternehmen eines Landes aus- wirken. Noch ist es nicht so weit, 2022 wuchs das Welthan- delsvolumen, und auch 2023 sollte dies der Fall sein. Selbst die US-Importe aus China lagen 2022 mit 539 Milliarden US-Dollar fast auf dem Spitzenwert von 2018. Bisher wird über Deglobalisierung mehr geredet, als dass sie passiert.Das heißt nicht, dass sich das nicht ändern kann, das ifo-Institut warnte schon 2020 vor der Problematik. Eigene Portfolios bezüglich ihrer Sensibilität gegenüber einer ernsthaften und anhaltenden Abnahme des Welthandels zu prüfen und gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen, kann also nicht falsch sein. Wir hoffen natürlich, dass sich eine solche Analyse als unnötige Vorsicht erweisen wird, und wünschen Ihnen einen erfolgreichen und erholsamen Sommer. Gerhard Führing und Mamdouh El-Morsi Gerhard Führing Mamdouh El-Morsi Zeit für den Deglobalisierungs- Check BRIEF DER HERAUSGEBER 4 N o . 2/2023 | institutional-money.com
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