Institutional Money, Ausgabe 2 | 2023
D ie Niederlande und die Schweiz haben unlängst Änderungen an ihrem Rentensystem vorgenom- men, und noch in diesem Jahr soll in Deutsch- land der staatliche Generationenkapitalfonds mit seinem Anfangskapital von zehn Milliarden Euro aus Bundeshaus- haltsmitteln ausgestattet werden. Die Demografie zwingt viele Staaten, ihre Altersvorsorgesysteme anzupassen, kaum wo löst dies aber so heftige Reaktionen der Bevölkerung aus wie in Frankreich. Auch die französische Regierung um Emmanuel Macron bemüht sich, die Steine des dortigen Rentensystems ein wenig zu verrücken. Im Ausland blickt man interessiert auf die Reaktionen der Bevölkerung, die in der Außenwahrnehmung als protestfreudig und durchset- zungsstark gilt. Zumindest gehen die Menschen in Frank- reich auf die Straße, um vehement gegen die Anhebung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre zu demonstrieren, und vie- le Beobachter fragen sich: „Wo liegt das Problem?“ Um das erkennen zu können, bietet es sich an, das französische Rentensystem näher zu betrachten. Wie in den meisten europäischen Ländern, gibt es auch in Frankreich ein Drei-Säulen-System: die Grundrente (régime de base) in Verbindung mit dem obligatorischen beruflichen Zusatzsystem (retraite complémentaire), die optionale be- triebliche Vorsorge (heute PER) sowie private Vorsorgemög- lichkeiten mit den Systemen PERCO, PERP und Madelin. Die Grundrente in Frankreich wurde 1945 eingeführt und funktioniert als obligatorisches Umlagesystem, das durch Steuermittel ergänzt wird. Während ihres aktiven Arbeits- lebens zahlen die Franzosen dort gemeinsam mit ihrem Arbeitgeber rund 20 Prozent ihres Bruttogehalts ein, wobei diese 20 Prozent dann auch die Beiträge zur Kranken- Grundversicherung beinhalten. Angestellte im Privatsektor zahlen beispielsweise 10,5 Prozent von ihrem Bruttogehalt in die Rentenversicherung ein, und der Arbeitgeber legt noch einmal 13 Prozent drauf. Je nach Beschäftigungs- verhältnis gibt es in Frankreich unterschiedliche zentrale Rentenstellen (régimes spéciaux): • für Beschäftigte der Privatwirtschaft: CNAV • für Beschäftigte der Landwirtschaft: MSA • für Selbstständige: SSI • für Beamte: CNRACL • für staatliche Angestellte: FSPOEIE • für Kirchen: CAVIMAC Darüber hinaus gibt es etwa 40 Sondersysteme und -re- gelungen für spezielle Berufsgruppen, beispielsweise für Ärzte, Mitarbeiter der staatlichen Elektrizitäts- und Gasunternehmen, der Pariser Metro, der Banque de France oder für Bahnbedienstete. „Da die diversen Stellen und Regelungen das System sehr zersplittert erscheinen lassen, bemüht man sich derzeit in Frankreich, die unterschied- lichen Pläne nach und nach in die Hauptbereiche Soziale Sicherheit und AGIRC-ARRCO übergehen zu lassen“, erklärt Dieter Vaupel, Principal bei Aon für International Wealth Solutions, in Mülheim an der Ruhr. Schließlich wir- ken die „régimes spéciaux“ für die jeweils anderen schnell wie Privilegien, daher erhalten neu Eingestellte sie nicht mehr. Argumentiert wird damit, dass sich der Arbeitsalltag in diesen früher oft körperlich anstrengenden Berufen ver- ändert hat. An die bestehenden Versprechen will man sich natürlich halten. Die Höhe der Grundrente, die ausbezahlt wird, hängt von drei Faktoren ab: Der Kampf um die Rentenreform der Regierung Macron zieht die Blicke auf Frank- reichs Rentensystem. Im europäischen Vergleich gehen Franzosen eher früh in Rente, und das Versorgungsniveau ist eher hoch. Trotzdem herrscht Unzufriedenheit. Zähes Ringen 252 N o . 2/2023 | institutional-money.com STEUER & RECHT | Französisches Rentensystem FOTO: © AON FRANKREICH Mit der 35-Stunden- Woche und fünf bis siebeneinhalb Wochen Jahresur- laub leben die Franzosen im Ver- gleich ganz gut. » Die Durchschnittsrente, die in Frankreich aus der Grundrente gezahlt wird, beträgt 1.509 Euro brutto bzw. 1.400 Euro netto. « Stéphane Rebaudo, Aktuar und Senior Manager im Bereich Wealth Solutions bei AON Frankreich
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