Institutional Money, Ausgabe 2 | 2023
W ir müssen die Kontaminierungseffekte von Narrativen in unsere ökonomischen Theorien einarbeiten. Andernfalls verschließen sich uns reale, erfahrbare und somit enorm wichtige Mechanismen, die in den ökonomischen Wandel einfließen. Es entgehen uns dann entscheidende Elemente für eine korrekte ökono- mische Prognose.“ Mit dieser Einschätzung legt Robert J. Shiller, der das nach ihm benannte KGV entwickelt hat, das Fundament zu seinen „Narrative Economics“ – eine Sicht- weise der Ökonomie, die die Mathematiklastigkeit der gegenwärtigen ökonomischen Orthodoxie kritisch hinter- fragt und spätestens mit dem kollektiven ökonomischen Prognoseversagen vor der großen Finanzkrise an Traktion gewonnen hat. Alternative Makro-Modelle wie die von Nobelpreisträger Paul Romer, spieltheoretische Ansätze oder behavioristische Erklärmodelle haben seither an Akzeptanz gewonnen, gera- de der Ansatz der Narrative Economics wurde jedoch für seine Schwammigkeit kritisiert. Demnach beschreibt Shiller diverse Narrative sehr anschaulich und unterhaltsam, eine Umsetzung in eine valide Marktstrategie bleibt er aber schul- dig. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Versuch, behavio- ristische Modelle zu erstellen, eine unüberschaubare Menge an Daten und deren Prozessierung voraussetzt – fasst man sich hier kurz, tappt man in dieselbe Falle wie die kritisierte Orthodoxie: Man vereinfacht zu stark und flüchtet sich in Scheinkomplexität. Der riesige Sprung, den die KI-For- schung mit der Lancierung von ChatGPT gemacht hat ( sie- he auch Artikel „Künstlicher Schöpfungsakt“ in dieser Ausgabe ), könnte jedoch auch für Narrative Economics einen gewal- tigen Schritt nach vorn bedeuten. Dafür spricht, dass aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz in diesem Frühjahr gleich zwei profunde Forschungsarbeiten publiziert wurden. Zum Ersten das Paper mit dem Titel „Studying Narrative Economics by Adding Continuous-Time Opinion Dyna- mics to an Agent-Based Model of Co-Evolutionary Adaptive Financial Markets“, das auf der 15. International Conference on Agents and Artificial Intelligence (ICAART) vorgestellt Ökonomenlegende Robert J. Shiller prägte den Begriff der „Narrative Economics“ – ein Konzept, das bis vor Kurzem eher theoretischer Natur war. Zwei KI-Strategien, darunter die von Datenbankgigant Bloomberg, eröffnen nun praktische Wege. … Gewinnentwicklung I Abgebildet werden die Sekundenprofite. Der Verlauf von Sekundenprofiten im Verlauf der im linken Chart beschriebenen Simulation bildet eine Veränderung entlang der geänderten Meinungen ab. Quelle: Studie Bokhari & Cliff 2 4 6 8 100 150 200 250 300 350 400 Verkäufer Profit/Sekunde Tage Käufer Summe Trübe Stimmung und … Die pessimistische Grundeinstellung führte zu Abschlägen. Die hier abgebildete Simulation lief über zehn Tage und wurde unter der Prämisse eines pessimistischen Markt-Sentiments gestartet. Der sinusförmige Ausgang entspricht den empirischen Erwartungen. Quelle: Studie Bokhari & Cliff 2 3 4 5 6 7 8 9 10 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 Transaktionen Preis Tage Das Narrativ der KI 202 N o . 2/2023 | institutional-money.com PRODUKTE & STRATEGIEN | Narrative Economics
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