Institutional Money, Ausgabe 2 | 2023
I nternationale Beachtung fand Richard H. Thaler, No- belpreisträger für Wirtschaft 2017, mit seinem Buch „The End of Behavioral Finance“, das er 1999 publizierte. Eine zentrale Aussage darin: Behavioral Finance ist kein ei- genständiges Studiengebiet, sondern eine Erweiterung der traditionellen Finanzwirtschaft. Wenn Alex Edmans, Profes- sor für Finanzen an der London Business School und ein führender Experte für ESG-Investitionen, einer Arbeit den Titel „The End of ESG“ (Das Ende von ESG) gibt, bezieht er sich auf Thalers Werk. Zur Einordnung: Edmans vertritt die Ansicht, dass ESG-Investitionen wichtig sind, weil sie da- zu beitragen können, langfristigen Wert für Unternehmen zu schaffen. Er argumentiert, dass Unternehmen, die sich den ESG-Prinzipien verpflichtet haben, mit größerer Wahr- scheinlichkeit innovativ, effizient und profitabel sind. Es sei auch wahrscheinlicher, dass sie talentierte Mitarbeiter, Kun- den und Investoren anziehen und an sich binden. Edmans ist zudem der Meinung, dass ESG-Investitionen dazu beitra- gen können, einige der drängendsten Herausforderungen der Welt wie Klimawandel und Ungleichheit zu lösen. Trotz- dem hält der Managing Editor der „Review of Finance“, das führende akademische Finanzjournal in Europa, in „The End of ESG“ fest, dass das Thema sowohl extremwichtig als auch gleichzeitig nichts Besonderes sei. Das Timing für seine Publikation ist jedenfalls gut ge- wählt. Das Kürzel „ESG“ steht imMittelpunkt des Interesses von Führungskräften, Investoren, Regulierungsbehörden, Wirtschaftsstudenten und der Öffentlichkeit. Große Unter- nehmen ernennen Chief Sustainability Officers (CSOs) in der Führungsetage, begründen strategische Entscheidungen auf der Grundlage ihrer ESG-Auswirkungen und binden die Vergütung von Führungskräften an ESG-Kennzahlen. Insgesamt 4.375 Investoren, die 121 Billionen US-Dollar ver- walten, haben bis Ende 2021 die Principles for Responsible Investment (PRI) unterzeichnet und lassen damit jene 63 Investoren, die 6,5 Billionen US-Dollar verwalten und PRI im Jahr 2006 mitbegründet haben, klein aussehen. Die Auf- sichtsbehörden erstellen Taxonomien darüber, welche Unternehmensaktivitäten als „nachhaltig“ bezeichnet wer- den dürfen, und stufen Fonds nach ihrer ESG-Einbindung ein. Die Wirtschaftshochschulen eilen herbei, um ESG-Kur- se anzubieten, ESG-Zentren einzurichten und Lehrkräfte als ESG-Experten neu zu erfinden. Zeitungen veröffentlichen spezielle ESG-Newsletter, und Kunden richten ihre Kauf- entscheidungen zunehmend an den ESG-Auswirkungen eines Unternehmens aus. Das Thema nachhaltige Investitionen befindet sich also zweifellos auf einem Höhepunkt, der Titel „The End of ESG“ soll aber nicht den bevorstehenden Tod des Themas signalisieren, sondern die Entwicklung zu einem Teilbereich einer Mainstream-Praxis. Die Erkenntnis, dass ESG-Faktoren für den langfristigen (finanziellen) Wert eines Unterneh- mens mitentscheidend sind, hat sich durchgesetzt und sollte daher von allen Führungskräften und Investoren ernst genommen werden – nicht nur von jenen, die „Nachhaltig- keit“in der Berufsbezeichnung tragen.Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsfaktoren bei der Bewertung von Unter- nehmen ist kein ESG-Investment, sondern ein Investment. In der Tat gebe es so etwas wie ESG-Investments nicht, sondern nur ESG-Analysen, meint Edmans. Wenn ESG für eine Gruppe von wertrelevanten Faktoren steht, dann ist sie ebenso wichtig wie nichts Besonderes. So wie Thaler in „The End of Behavioral Finance“ prophezeite, dass die Erkenntnisse der Verhaltensökonomie in den Invest- mentprozess einfließen und einfach fixer Bestandteil der Analysearbeit werden, kündigt Edmans das Gleiche für ESG an. Kapitalismuskritikern, die eine zu kurzfristige Ertrags- optimierung beklagen, hält er entgegen, dass Standardlehr- Der Finanzmarktforscher Alex Edmans glaubt, dass man im Umgang mit der ESG-Thematik einen Schritt weiter gehen muss: Nachhaltigkeitsfaktoren müssen fixer Bestandteil des Wirtschaftens werden – nicht weniger, aber auch nicht mehr. Entmysti fizierung 114 N o . 2/2023 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | ESG FOTO: © GRESHAM COLLEGE » Langfristig wirkende Faktoren zu berücksichtigen ist kein ESG-Investing, sondern schlichtweg reines Investieren. « Alex Edmans, Professor of Finance, London Business School & Mercers’ School Memorial Professor of Business, Gresham College
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