Hyman P. Minsky: Die fünf Phasen einer Börsenblase
Wie erkennt man die Vorboten eines nahenden Crashs? Angesichts der aktuellen Entwicklung von Börsenkursen und Finanzmärkten sei es vielleicht an der Zeit, sich an die Modelle des US-Ökonomen Hyman P. Minsky zu erinnern, meint das eidgenössische Wirtschaftsportal "HZ".


Die Anlegergemeinde entdeckt eine neue These (oder wie man heute gern sagt: ein neues "Narrativ"). Sie sichtet eine frische, andersartige Grundlage für einen neuen Aufschwung – zum Beispiel der beeindruckende Wirtschaftsaufschung der "Tigerstaaten" (Basis für die Asien-Bubble der 1990er). Oder der beginnende Siegeszug des Internet (Basis für die Dotcom-Blase).
Oder hartnäckige Nullzinsen und Gratisgeld (was heute zu der weitverbreiteten Idee führt, dass es kaum ernstzunehmende Alternativen zu Aktien gibt).

Nach der Ablösung beziehungsweise dem Regimewechsel steigen die Preise beziehungsweise Kurse der passenden Anlagen zuerst langsam an. Je mehr Investoren das neue Paradigma erkennen und ihm folgen, desto eher entwickelt sich ein Boom. Dabei wird die neue Idee wiederum vermehrt auch in den Allgemeinmedien aufgegriffen. Es gibt erste spekulative Käufe – und in der Folge motiviert die bekannte Angst, etwas zu verpassen, weitere Anleger zu einem entschiedeneren Einstieg.

Die Vorsicht lässt nach, die Kurse steigen steiler. Als weiterer Faktor spielt nun die "Greater Fool"-Idee hinein: Man kauft eine Aktie (oder ein Wertpapier oder einen Bitcoin oder eine Immobilie) nicht, weil man wirklich an ihren Wert glaubt – sondern nur noch, weil man darauf setzt, dass eine andere Person tatsächlich mehr zu zahlen bereit ist. Dies wiederum führt zu extremen Werten.
In der Dotcom-Blase sprangen Software- und "Cyber"-Firmen ohne den geringsten Umsatz auf Werte über eine Milliarde US-Dollar. Zur Euphorie-Phase gehört auch, dass die Anhänger des Booms neue Regeln und Maßstäbe verkünden oder setzen. Man bekommt zu hören, dass die alten Beurteilungskriterien jetzt nicht mehr gültig seien. So wurde in der Dotcom-Blase eine "New Economy" propagiert, in der so altmodische Faktoren wie Erträge und Gewinne nicht zur Beurteilung eines Unternehmenswertes herangezogen werden dürften.

In einer späten Phase steigen zahlreiche neue, oft unerfahrene Kleinanleger in den Markt ein; in der deutschen Börsensprache war früher auch die Rede von einer "Dienstmädchenhausse". Andererseits steigen erste informierte Anleger aus und streichen ihre Gewinne ein. Die alten Höhepunkte werden nicht mehr erreicht – oder wenn, dann nur kurz.
Andererseits finden die Verkäufer bei ihren Gewinnmitnahmen doch noch jeweils Abnehmer, so dass kein sofortiger Einbruch erfolgt. Einige Experten reden von "Konsolidierung" (was aber immer noch die Vorstellung enthält, dass es danach wieder aufwärts gehen könnte).

Die Stimmung dreht – das kann schlagartig geschehen, ausgelöst durch eine einzelne Information. So wie die Kurse in der Euphorie-Phase exponentiell nach oben drehten, fallen sie nun nach unten – oft stürzen sie sogar noch steiler ab.
Denn der Prozess heizt sich selber an: Wer zuvor Aktien auf Pumpf gekauft hat, sieht sich zunehmend mit "Margin Calls" konfrontiert. Oder der Wert von immer mehr Immobilien kippt unter die Beleihungsgrenze, so dass Hypothekarbanken nun Nachschüsse verlangen, was mehr und mehr Hausbesitzer zu Verkäufen zwingt, was wiederum die Preise nach unten treibt (so einst in Japan geschehen).
Auf der Gegenseite ist jetzt auch die Nachfrage eingebrochen, so dass es plötzlich an Käufern fehlt - eine Todesspirale setzt sich in Gang.
Seit dem Crash im März 2020 im Zuge des Beginns der Corona-Pandemie hat sich der Kurs des US-Aktienindex S&P 500 mehr als verdoppelt. Im laufenden Jahr sollen Anleger laut Daten der Bank of America und EPFR Global nahezu 900 Milliarden US-Dollar in Aktienfonds investiert haben – mehr als in den 19 Jahren davor zusammengenommen. Nach Ansicht von Börsenlegende Charlie Munger, Vizepräsident von Berkshire Hathaway und seit Jahrzehnten die rechte Hand von Warren Buffett, sei die aktuelle Lage vergleichbar mit der Phase vor dem Platzen der Dotcom-Blase Anfang der 2000er-Jahre. Der 97-Jährige hält die gegenwärtige Ära sogar "für noch verrückter".
Ähnlichkeiten mit einem Schneeballsystem
Stehen wir also tatsächlich kurz vor einem Börsencrash? Um eine mögliche Antwort auf diese Frage zu finden, sei es ratsam, sich mit den Modellen des Ökonomen Hyman P. Minsky (1919 – 1996) zu beschäftigen, heißt es in einem Bericht der "Handelszeitung". Der US-Wirtschaftswissenschaftler hatte jahrelang erforscht, wie die Wirtschaft von einem stabilen Zustand immer wieder in chaotische Situationen abdriftet und wie dabei rationales, also vernunftgesteuertes Verhalten von Unternehmern, Verbrauchern und Anlegern nach und nach in spekulative Übertreibungen führt – oftmals sogar in Abläufe, die einem Schneeballsystem ähneln.
"Je stabiler die Zustände werden und je länger die Lage stabil ist, desto instabiler werden sie, wenn die Krise zuschlägt. Erfolg führt dazu, dass die Gefahr des Scheiterns unterschätzt wird", so Minsky. Wie gut seine Modelle die Realität beschreiben, wurde einer breiteren Öffentlichkeit erst im Zuge der Finanzkrise 2007/2008 schmerzlich bewusst.
In seinem 1986 erschienen Werk "Stabilizing an Unstable Economy" definierte Minsky fünf Phasen einer Spekulationsblase – klicken sie sich durch unsere Fotostrecke oben. (mb)