Institutional Money, Ausgabe 4 | 2025
Dennoch werfen Kritiker Ihnen vor, koloniale und globale Kontexte zu wenig zu berücksichtigen. Was antworten Sie? Prof. James Robinson: Ich weise darauf hin, dass wir uns in unseren Arbeiten inWahrheit immer wieder mit den Aus- wirkungen des Kolonialismus auf ökonomische Entwick- lung beschäftigen. Unsere Absicht war aber, ein allgemeines Erklärungsmodell zu entwickeln, das für eine Vielzahl von Ländern und Kontexten funktioniert, eine Notwendigkeit in der Sozialwissenschaft. Natürlich gibt es kulturelle und nationale Besonderheiten, gerade China ist ein Sonderfall: MancheMechanismenwestlicher Demokratien oder Theo- rien zuMacht und Korruption lassen sich nicht eins zu eins übertragen. Die Dynamik, mit der sich in China Macht- strukturen entwickeln und gesellschaftliche Prozesse ver- laufen, ist fundamental anders als in westlichen Staaten. 8QVHU =LHO EOHLEW (UNOÌUXQJVPXVWHU ]X ljQGHQ GLH 2ULHQWLH- rung bieten, aber wir sind uns der Grenzen dessen bewusst. Daher arbeitenwir derzeit intensiv daran, kulturelleMecha- nismen und spezielle historische Kontexte stärker in unsere Modellierungsansätze einzubeziehen. Haben Sie seit „Why Nations Fail“ neue Forschungsergebnisse gewonnen, die Ihre Kernthesen ergänzen oder gar korrigieren? Prof. James Robinson: Unsere neueren Arbeiten über kultu- relle und institutionelle Besonderheiten in Subsahara-Afrika EHVFKÌIWLJHQ VLFK YLHO LQWHQVLYHU PLW NXOWXUHOOHQ'LȬHUHQ]HQ und regionalenModellen. Wir haben etwamethodisch aus- gearbeitet, wie sich Kultur in institutionelle Theorien ein- betten lässt. Dennoch sind die statistischen und qualitativen %HIXQGH UREXVW JHEOLHEHQ 'HU (LQijXVV YRQ ,QVWLWXWLRQHQ auf die Entwicklung ist nach wie vor quantitativ und kon- zeptionell am bedeutendsten. Die kulturelle Dimension ist RIW HQWVFKHLGHQG IĞU VSH]LljVFKH $XVSUÌJXQJHQ DEHU DOV Kernerklärung bleibt das institutionelle Modell tragfähig. Wie bewerten Sie die aktuellen Entwicklungen in Ihrer Wahl- heimat USA und in IhremGeburtsland Großbritannien? Wel- che Folgen haben die Politiken, etwa jene von Donald Trump? Prof. James Robinson: Sowohl Großbritannien als auch GLH 86$ EHljQGHQ VLFK LQ HLQHU 3KDVH WLHIJUHLIHQGHU JHVHOO- schaftlicher und politischer Umbrüche. Der Nationalismus, der insbesondere im Zuge der Globalisierung wieder erstarkt, führt zur Rückbesinnung auf vermeintlich klare Identitäten, dabei sind gerade die USA von Einwanderung und Vielfalt geprägt. Großbritannien hat sich mit sozialen 9HUSijLFKWXQJHQ ĞEHUQRPPHQ GLH KHXWH JDU QLFKW PHKU realistisch zu erfüllen sind. Früher gab es zwanzig Erwerbs- tätige für jeden Rentner, jetzt sind es drei. Das System steht entsprechend unter Druck. Und beide Länder suchen nach Sündenböcken außerhalb ihrer Gesellschaft, seien es die EU oder Migranten, anstatt den gesellschaftlichen Vertrag neu zu denken. Historisch gab es schon erfolgreiche Neu- ausrichtungen: Das schwedische Sozialversicherungsmodell entstand aus harter Konsensbildung aller gesellschaftlichen Gruppen. Auch heute braucht es radikales Umdenken und neue Ansätze. Ich bin zuversichtlich, dass ein solcher Wan- del möglich, wenn auch schmerzhaft und langwierig ist. Sehen Sie die Balance zwischen Staat und Gesellschaft in den USA derzeit gefährdet? Prof. James Robinson: Die Entwicklungen in den USA sind eine deutliche Reaktion auf die Probleme des bisherigen institutionellen Modells: Die gesellschaftliche Spaltung und die immer weiter auseinanderdriftendenWohlstands- QLYHDXV KDEHQ HLQ 6\VWHP JHVFKDȬHQ GDV .RUUHNWXUHQ YHUODQJW 6ROFKH :HQGHSXQNWH VLQG KLVWRULVFK KÌXljJ GLH Vorläufer echter Reformen. Der Umbruch ist zwar chao- WLVFK HUĆȬQHW DEHU DXFK 6SLHOUDXP IĞU SRVLWLYH (QWZLFN- lungen. Daher stehen wir an einem kritischen Punkt, an GHP GLH 5LFKWXQJ QRFK RȬHQ LVW Vielen Dank für das Gespräch. HANS HEUSER » Sowohl Großbritannien als auch die USA befinden sich in einer Phase tiefgreifender gesellschaftlicher und politischer Umbrüche. « Prof. James Robinson, University of Chicago 52 N o . 4/2025 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | Prof. James Robinson | University of Chicago FOTO: © SHANE LAWRENCE PHOTOGRAPHY FÜR INSTITUTIONAL MONEY Nationalismus erstarkt insbesondere im Zuge der Globalisierung wieder.
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