Institutional Money, Ausgabe 4 | 2025
In „Why Nations Fail“ beschreiben Sie den Unterschied zwi- schen „inklusiven“ und „extraktiven“ Institutionen. Wird Ihr Modell durch aktuelle Entwicklungen bestätigt oder eher infrage gestellt? Prof. James Robinson: Das Spannungsfeld zwischen inklusi- ven und extraktiven Institutionen ist heute aktueller denn je. Inklusiven Institutionen gelingt es, Wohlstand und Teil- habe zu fördern, doch es gibt stets Kräfte, die zu extraktiven Strukturen neigen, sei es durch Ideologie, Machtkonzen- tration oder manipulative Narrative. Besonders in denUSA beobachten wir derzeit einen starken ideologischen Kampf gegen liberale Prinzipien – eine Dynamik, die unserModell im Buch zwar grundsätzlich abbildet, aber Erweiterungen verdient. Der Mechanismus, wie sich Gesellschaften zu mehr Inklusion entwickeln oder in extraktive Muster zurückfallen, zeigt sich aktuell in vielen Facetten: von poli- tischen Debatten über wirtschaftliche Machtverhältnisse bis zu neuen Ideologien, die das demokratische Gleichge- wicht bedrohen. Das Fundament unseresModells bleibt sta- bil, doch die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass weitere 'LȬHUHQ]LHUXQJHQ XQG (UZHLWHUXQJHQ QĆWLJ VLQG XPNRP- plexe Zusammenhänge umfassend erklären zu können. Sie haben am Beispiel von Südkorea die Bedeutung von Paten- ten für inklusive Institutionen betont. Eine Art Paradebeispiel? Prof. James Robinson: Patente sind sozusagen das klassische Beispiel für inklusive wirtschaftliche Institutionen. Sie bie- ten breite Anreize, fördern Innovationskraft und machen technologischenWandel für verschiedenste gesellschaftliche Gruppen zugänglich. Südkorea illustriert das besonders ein- drücklich: In fünfzig Jahren hat das Land eine bemerkens- werte Dynamik entwickelt, einWandel, der eng mit seiner massiven Innovationsleistung und einer enormen Steige- rung der Patentaktivitäten verknüpft ist. Aber das Patentmo- dell ist nicht der einzige Weg, wie Staaten Wohlstand und Innovation generieren können. Katar und Singapur bei- spielsweise setzen auf die gezielte Ansiedlung von Human- kapital, technologischem Know-how und internationalen Fachkräften und nutzen Importtechnologien anstelle eigen- entwickelter Innovationen. Irland hat sich durch intensive Förderung ausländischer Direktinvestitionen und Technolo- gieimporte ohne nennenswerte Eigenpatente binnen eines halben Jahrhunderts zu einer der wohlhabendsten Volks- wirtschaften entwickelt. Das zeigt: Es gibt verschiedene Institutionenmodelle, aber Struktur und Funktionsweise sind entscheidend für nachhaltiges Wachstum. Welche institutionellen Entwicklungen begünstigen die Eskala- tion von Kriegen wie in der Ukraine und imGazastreifen? Las- VHQ VLFK GDUDXV /HKUHQ IĞU ,QNOXVLRQ QDFK .RQijLNWHQ ]LHKHQ" Prof. James Robinson: Ich bin kein ausgewiesener Experte für GLHVH UHJLRQDOHQ .RQijLNWH DEHU ZDV VLFK EHREDFKWHQ OÌVVW Russland etwa orientiert sich zunehmend an historisch- nationalistischen Modellen, die an die Zeit vor der Okto- berrevolution erinnern. Das bedeutet eine Rückbesinnung auf eine territorial-expansive Politik und einen ausgeprägten Nationalismus, der kriegerisches Verhalten begünstigt. Im 1DKHQ 2VWHQ LVW GHU .RQijLNW YLHOVFKLFKWLJ XQG KLVWRULVFK extremverwurzelt. Eine Lösung oder gar der Aufbau inklu- siver Institutionen nach demVorbild westlicher Demokra- tien ist hier extrem schwierig. Dennoch zeigt exemplarisch die Geschichte Deutschlands und Japans nach dem Zwei- ten Weltkrieg, dass auch aus tiefgreifenden Krisen inklusi- ve Gesellschaften entstehen können. Die waren allerdings verbundenmit der kollektiven Erkenntnis über die eigenen Fehler und einer grundlegenden gesellschaftlichenNeuauf- stellung. Solche Rekonstruktionsprozesse erfordern sehr viel Geduld, externen Druck und eine echte Bereitschaft zur Selbstkritik – Lehren, die heute noch immer relevant sind. Wie lassen sich fragile Institutionen davor schützen, von politi- schen oder militärischen Akteuren für ihre Zwecke missbraucht XQG VRPLW ]XP $XVOĆVHU YRQ .RQijLNWHQ ]X ZHUGHQ" » Die Geschichte Deutschlands und Japans nach dem Zweiten Weltkrieg zeigt, dass auch aus tiefgreifenden Krisen „inklusive“ Gesellschaften entstehen können. « Prof. James Robinson, University of Chicago 48 N o . 4/2025 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | Prof. James Robinson | University of Chicago FOTO: © SHANE LAWRENCE PHOTOGRAPHY FÜR INSTITUTIONAL MONEY
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy ODI5NTI=