Institutional Money, Ausgabe 2 | 2025
Europäischen Union nur schwächen wird. Ich bin zudem nicht bereit, voreilig zu dem Schluss zu kommen, dass Trump seine Meinung über China grundlegend geändert hat. Im Moment gehe ich eher davon aus, dass er beschlos- sen hat, sich etwas Zeit zu verscha en. Was natürlich die Frage aufwirft: Zeit wofür? David Woo: Bemerkenswert für mich war, dass Trump im Vorfeld des ursprünglich geplanten Zusammentre ens zwi- schen Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj in Istan- bul das von der EU an den Kreml-Chef gerichtete Ultima- tum unterstützt hat, in dem es verkürzt gesagt hieß: Wa en- stillstand oder massive Sanktionen. Das hat mir gezeigt, dass Trump gute Gründe gehabt hat, den Kampf mit China erst einmal zu verschieben, weil die Gefahr besteht, dass die Spannungen mit Russland sogar noch weiter eskalieren könnten. Daher erscheint mir seine von vielen als Kapitula- tion gegenüber China gedeutete Aktion eher taktischer als strategischer Natur. Deshalb bleibe ich bei meiner mittel- fristigen Einschätzung für die nächsten drei Monate … …in der Sie einen ziemlich heftigen Ton angeschlagen haben, als Sie davon sprachen, dass es sich bei der Auseinandersetzung zwischen den USA und China nicht um einen Handelskrieg, sondern um einen handfesten Krieg handelt. David Woo: Davon bin ich auch nach wie vor überzeugt. Dazu muss man sich vergegenwärtigen, worum es jeweils in Wahrheit geht. In Trumps erster Amtszeit war es tatsächlich ein Handelskrieg, den der amerikanische Präsident gegen- über China angezettelt hat. Das eigentliche Ziel hinter der auch damals vordergründig vorgetragenen Forderung einer massiven Senkung der chinesischen Zölle auf US-Importe bestand darin, die Machthaber in Peking zu einer Ö nung ihres Marktes für Finanzdienstleistungen zu bewegen. Das ist ja letztlich auch gelungen, da es schlussendlich zu einer Einigung gekommen ist, die zudem für beide Seiten von Vorteil war, auch wenn China viele Zugeständnisse machen musste. Bei dem, was wir zu Beginn von Trumps zweiter Amtszeit als vermeintlich erneuten Handelskrieg um Zölle erleben, geht es aber um etwas vollkommen anderes, was den Begri Krieg aus meiner Sicht durchaus rechtfertigt. Worauf wollen Sie hinaus? David Woo: Auf etwas, was bereits 2020, noch während der Amtszeit von Joe Biden, begonnen hat. Damals kam es zu einem bedeutenden Wendepunkt in der Auseinander- setzung zwischen den beiden größten Machtblöcken der Welt. Denn den Verantwortlichen in Washington ist erst- mals bewusst geworden, dass die Bedrohung durch China keineswegs nur darin besteht, Arbeitsplätze in der US-Ferti- gungsindustrie zu vernichten – ein Thema,mit dem Trump im Vorfeld seiner ersten Amtszeit seinen Wahlkampf bestrit- ten hat, verbunden mit seinem mantraartig vorgetragenen Versprechen, Arbeitsplätze in die USA zurückzuholen. Im Jahr 2020 aber, als Biden an der Macht war, sah die Lage ganz anders aus. Denn zu diesem Zeitpunkt war klar, dass China in der globalen Nahrungskette gewissermaßen auf- gestiegen war. Dass China eben nicht nur versuchte, ledig- lich eine wichtige Rolle in der Fertigung zu spielen, sondern zu einem wesentlichen und ernst zu nehmenden Player in den Bereichen Technologie und Innovation zu werden. Das war im Übrigen schon sehr viel länger erkennbar und wur- de nur von den Verantwortlichen inWashington nicht wirk- lich wahrgenommen. Woran machen Sie dann die Veränderung im Jahr 2020 fest? David Woo: An der Tatsache, dass der amerikanischen Politik in diesem Jahr erstmals die weitreichende Bedeutung des im Grunde enorm brisanten Inhalts eines wissenschaftlichen Berichts mit dem Titel „Destined for War: Can America and China Escape Thucydides’s Trap?“bewusst wurde, der bereits 2017 erschienen ist. Verfasst hat ihn Graham Allison, aus meiner Sicht der bedeutendste Politikwissenschaftler der Gegenwart, der das Belfort Center an der Harvard University in Cambridge leitet. Finanziert und unterstützt wurde das Projekt von niemand Geringerem als Eric Schmidt, dem 40 N o . 2/2025 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | David Woo | Unbound FOTO: © NAOMI MEROZ » Die von vielen als Kapitulation von Donald Trump gegenüber China gedeutete Aktion scheint mir eher taktischer als strategischer Natur zu sein. « David Woo, Unbound Thukydides und die Folgen, wenn eine aufstrebende eine herrschende Macht herausfordert.
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