Institutional Money, Ausgabe 1 | 2025
Im Gegensatz zu Ihrer Kritik an einem milliardenschweren Son- dervermögen für Infrastrukturmaßnahmen scheinen Sie die Fi- nanzbeschlüsse zum Auf- und Ausbau der Rüstungsindustrie in Deutschland mitzutragen. Veronika Grimm: Wir können ja nicht die Augen davor ver- schließen, dass die Sicherheitsgarantien der USA in frage ste- hen, sogar der nukleare Schutzschirm. Das zwingt uns Eu- ropäer, sehr schnell zu handeln. Russland könnte die Phase der Unsicherheit und Schwäche als Einladung verstehen, an der Ostflanke zu zündeln, was leicht den Bündnisfall auslö- sen kann. Mit dem Geld ist es leider nicht getan, es muss auch gelingen, die europäische Beschaffung und die Produk- tion von Rüstungsgütern zu koordinieren. Was meinen Sie konkret? Veronika Grimm: Wir erreichen in Europa nur etwa die Hälf- te unserer Schlagkraft, die wir mit dem Rüstungsbudget rea- lisieren könnten. Zum einen haben wir in Europa eine Viel- zahl an unterschiedlichen Waffensystemen, zum andere ist das Beschaffungswesen zu schwerfällig.Wir können mit den Rüstungsbudgets viel mehr erreichen, wenn wir die Rüs- tungsproduktion koordinieren und in den Segmenten den Wettbewerb zwischen wenigen Anbietern nutzen, damit die Produkte besser und kostengünstiger werden. In Deutsch- land gibt es außerdem verschiedene Unternehmen, die ak- tuell in Schwierigkeiten stecken, aber das Potenzial haben, zur Rüstungsproduktion beizutragen. Woran denken Sie? Veronika Grimm: Etwa an Betriebe imMaschinenbau oder in der Automobilindustrie. Viele verfügen durchaus über Kom- petenzen, die man auch in der Rüstungsindustrie benötigt. Großen Rüstungskonzerne übernehmen schon heute Pro- duktionsstätten der Automobilindustrie , weil ihre Auftrags- lage die Expansion nötig macht. Das ist auch eine Möglich- keit, den Strukturwandel abzufedern. Zusätzliche Verteidi- gungsausgaben könnten außerdem gezielt für Innovationen im High Tech Bereich genutzt werden und so auch Wachs- tumsimpulse setzen – etwa im Bereich KI oder Raumfahrt. Viele Universitäten und Forschungseinrichtungen haben sich allerdings in der Vergangenheit aus ethischen Gründen von militärischer Forschung distanziert, was den Zugang zu Technologien verkompliziert. Die Dual-Use-Problematik (zi- vile und militärische Nutzung) sorgt zudem immer wieder für politische und gesellschaftliche Kontroversen. Es ist au- ßerdem nicht damit getan, nur bei der militärischen For- schung ganz vorne dabei zu sein sein – Technologien müs- sen auch angewendet und exportiert werden, um überhaupt in Europa wirtschaftlich produzieren zu können. Und soll nun Deutschland gleich zur Atomstreitmacht werden? Veronika Grimm: Nein, das wäre auch nicht so einfach mög- lich.Wir müssen aber überlegen, was unsere Rolle ist, wenn Europa für seine eigene Sicherheit sorgen muss. Ganz raus- halten können wir uns als größte Volkswirtschaft und Tech- nologienation sicher nicht. Aktuell stecken wir den Kopf in den Sand, das wird nicht haltbar sein.Wir sind nicht einmal bei der europäischen Industrie-Allianz zu Small Modular Reactors (SMR) dabei, der insgesamt 15 europäische Staaten angehören. Zumindest bei Forschungsinitiativen im Bereich der Kernenergie sollte sich Deutschland beteiligen und sich Optionen offenhalten. Aber welchen Beitrag kann speziell Deutschland in dieser Hin- sicht leisten? Veronika Grimm: Wir haben immer noch viel Technologie- kompetenz in diesem Bereich. Noch verfügen wir über die entsprechenden Lehrstühle im Bereich der Kernforschung, deren Lehrveranstaltungen durchaus gut besucht sind. Dies sollten wir dringend aufrechterhalten und ausbauen. Und wenn unser Beitrag nur darin besteht, mit unserer deut- schen Kompetenz und in Kooperationen mit Großbritan- nien und Frankreich dazu beitragen, dass europäische Reak- toren sicher und von hoher Qualität sind und die militäri- schen Atomprogramme Kompetenzen hinzugewinnen. Dann wäre im Prinzip doch nur allen gedient. Wir danken für das Gespräch! HANS HEUSER 40 N o . 1/2025 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | Veronika Grimm | Wirtschaftsweise FOTO: © CHRISTOPH HEMMERICH » Wir können ja nicht die Augen davor verschließen, dass die Sicherheitsgarantien der USA in frage stehen, sogar der nukleare Schutzschirm. « Prof. Veronika Grimm, Technische Universität Nürnberg
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