Institutional Money, Ausgabe 1 | 2025

tungen wider, sowie das Verhältnis von Kapitalangebot und Kapitalnachfrage. Bei Schulden ist „Mehr“nicht besser – die Analogie zu Draghi trägt hier nicht. Kaum dass Friedrich Merz sein „Whatever it takes“ ausgesprochen hatte, stieg am 5. März 2025 die Rendite der 10-jährigen Bundesanleihen um 29 Basispunkte und erreichte 2,75 %. Dies war der größte Anstieg seit März 1990. Danach ist sie zeitweise bis auf 2,9% angestiegen. Zumal eine so ungewöhnliche Zinsbewegung in Deutschland doch eine Signalwirkung auch auf andere EU-Staaten hat ... Veronika Grimm: ... und das ja nicht ohne Grund. Da die Renditen für Staatsanleihen in der Eurozone gekoppelt sind, hat ein Zinsanstieg in Deutschland unmittelbare Auswir- kungen auf die Konditionen, zu denen sich andere europäi- sche Länder verschulden können. Die Finanzierung der Ver- teidigung wird also für alle teurer. Zugleich sind viele große, europäische Volkswirtschaften schon jetzt hoch verschuldet. Italien, Frankreich und Spanien haben einen Schuldenstand von deutlich über 100 %. Schon die Corona- und die Ener- giekrise konnten diese Länder nicht aus eigener Kraft adres- sieren. Man ist heute noch stärker als schon im Jahr 2020 auf Deutschland als Stabilitätsanker angewiesen. Es ist daher von großer Bedeutung, dass die neuen europäischen Fiskal- regeln, die nach der Coronakrise vereinbart wurden, die Schuldenstände wieder nach unten führen. Die drei großen und hochverschuldeten europäischen Volkswirtschaften ha- ben bereits, zusammen mit 23 Mitgliedstaaten der europäi- schen Union, mit der EU-Kommission einen Schuldenab- baupfad vereinbart. Deutschland ist noch keine Einigung mit der EU Kommission gelungen. Stand jetzt ist die deut- sche Haushaltsplanung also nicht mit den EU-Fiskalregeln kompatibel – und das war sogar mit der alten Finanzpla- nung, vor den umfangreichen neuen Ankündigungen, schon ein Problem. Verweigert sich Deutschland weiterhin, die europäischen Fiskalregeln zu beachten und plant statt- dessen umfangreiche neue Ausgaben, so dürfte die Verhand- lungsposition der EU-Kommission gegenüber den hoch ver- schuldeten europäischen Volkswirtschaften rapide sinken. An der mittelfristigen fiskalischen Tragfähigkeit in der Euro- zone sind dann starke Zweifel angebracht. Noch im Vorfeld der Bundestagswahlen hatten Sie gemeinsam mit zwei Wissenschaftskollegen ein Gutachten mit dem Titel „Für eine echte Wirtschaftswende“ verfasst. Was hat es damit auf sich? Veronika Grimm: Meine Mitautoren waren Lars Feld und Vol- ker Wieland, beides ehemalige Mitglieder des Sachverstän- digenrates. Gemeinsam sind wir der schweren Strukturkrise, in der sich Deutschland befindet, auf den Grund gegangen. Die seit dem Jahr 2022 anhaltende Stagnation des Bruttoin- landsprodukts, die immer noch zu hohe Inflation und die allmählich ansteigende Arbeitslosigkeit sind insgesamt Aus- druck einer Entwicklung, deren eigentliche Ursache vor al- lem in ungünstigen Rahmenbedingungen liegt, die Investi- tionen in Deutschland zunehmend unattraktiv gemacht ha- ben. Wie sind Sie dabei vorgegangen? Veronika Grimm: Ausgehend von einer Analyse der wirt- schaftlichen Lage in Deutschland und im Euroraum haben wir eine Wachstumsagenda für Deutschland skizziert. Wir konnten natürlich die neuen politischen Konstellationen und Entscheidungen noch nicht berücksichtigen, aber un- sere Studie hat nicht an Relevanz verloren – im Gegenteil. Ohne Wachstum werden uns die Schulden erdrücken – und nachhaltiges Wachstum bekommen wir nur über Strukturreformen, die die nächste Regierung schnellstmög- lich in Angriff genommen nehmen muss. Was sind die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung? Veronika Grimm: Auch heute heißt es vielfach noch, Putins Angriffskrieg sei an allem schuld, an der ausufernden Infla- tion genauso wie an der wirtschaftlichen Stagnation wegen der fehlenden und teuren Energie. Tatsächlich begann der Anstieg der Inflationsraten aber bereits im Jahr 2021. Eine expansive Fiskal- und Geldpolitik war zwar in der Corona- Rezession im Jahr 2020 hilfreich und wichtig. Sie wurde 36 N o . 1/2025 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | Veronika Grimm | Wirtschaftsweise FOTO: © CHRISTOPH HEMMERICH » Ein immer stärker eingreifender Staat wird die Krise nicht überwinden, sondern dürfte die Probleme verstärken. « Prof. Veronika Grimm, Technische Universität Nürnberg

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