Institutional Money, Ausgabe 1 | 2025

Veronika Grimm: Ich halte das Vorgehen für überstürzt und nicht zielführend. Richtig und wichtig ist die Schaffung von Spielräumen für eine deutliche Erhöhung der Verteidigungs- ausgaben. Allerdings ist es fragwürdig, alle Verteidigungsaus- gaben oberhalb von 1% des BIP von der Schuldenbremse auszunehmen und zudem auch weitere Ausgaben hinzuzu- rechnen: für Cyber-Security, Zivilschutz und Ukrainehilfen. Das schafft in signifikantemUmfang zusätzliche Spielräume im Kernhaushalt, da Ausgaben, die bisher aus demHaushalt finanziert wurden, nun über zusätzliche Verschuldung fi- nanziert werden können.Die Landesverteidigung ist aber ei- ne Kernaufgabe des Staates. Man sollte daher die Schwelle, ab der man zusätzliche Ausgaben über Kredite finanzieren darf, auf 2 % des BIP setzen – also die NATO-Quote – und außerdem die zusätzlich mögliche Verschuldung nach oben beschränken. Die anderen beiden Maßnahmen – das Son- dervermögen sowie die Lockerung der Schuldenbremse für die Länder – sind problematisch. Wie sollen denn nun wichtige Strukturreformen in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt werde, wo Geld scheinbar im Überfluss vor- handen ist? Man wird sich jetzt eher mit der Verteilung der Gelder beschäftigen. Aber dabei kann so einiges schieflaufen, insbesondere wenn bisherige Geschäftsmodelle aufgrund ei- nes grundlegenden Strukturwandels und der zunehmenden Konkurrenz aus Asien nicht mehr tragen. Den größten An- reiz, die Nähe zur Politik zu suchen, haben dann gerade die- jenigen, die einen weiteren Niedergang hinauszögern wol- len. Schon jetzt sind sehr viele Interessen im Spiel, sehr viele wollen mitreden. Wenn solche Summen ins Schaufenster gestellt werden, weckt das natürlich sofort auch Begehrlich- keiten. Was befürchten Sie? Veronika Grimm: Dass wir unser Pulver verschießen, noch be- vor es einen schlüssigen Plan gibt. Aktuell ist das Wachs- tumspotenzial der Volkswirtschaft aufgrund der ungünsti- gen Demografie niedrig. Außerdem sind die Industrie und auch die Bauwirtschaft unterausgelastet. 2025 wird erstmal wenig passieren, denn es braucht Zeit, um die Gelder auf die Straße zu bringen. Ab 2026 dürfte es Wachstumseffekte geben. Wenn nun diese Summen verausgabt werden, wird die Nachfrage steigen und wir werden zwei oder drei Jahre brauchen, um wieder zur Vollauslastung der Unternehmen zurückkehren. Das bringt vorübergehend Wachstum, aber nicht nachhaltig. Wenn aber das Wachstumspotenzial der Volkswirtschaft in der Zwischenzeit nicht durch Investitio- nen steigt, dann geht die zusätzliche Nachfrage bei Vollaus- lastung in die Preise.Ohne Strukturreformen, die das Wachs- tumspotenzial nachhaltig steigern, gibt es dann kurz vor den nächsten Wahlen Inflationsdruck. Das ist ein sehr unange- nehmes Szenario und dürfte den extremeren Oppositions- parteien in die Hände spielen. Wozu raten Sie? Veronika Grimm: Erweiterungsinvestitionen deutscher Unter- nehmen finden inzwischen überwiegend im Ausland statt, und als Ziel ausländischer Direktinvestitionen ist Deutsch- land relativ uninteressant geworden.Die Unternehmenssteu- ern und die Energiekosten sind zu hoch, die Arbeitsproduk- tivität zu niedrig, die Regulierung komplex. Wir sollten das ändern, umUnternehmen aus wachstumsstarken Branchen anzuziehen oder zu halten.Niedrigeren Steuern, flexible Ar- beitsmärkte, geringere Lohnnebenkosten, eine Ausrichtig der Energiewende auf die Kosteneffizienz, weniger komple- xe Regulierung – die neue politische Konstellation dazu ge- nutzt werden, umDeutschland zu einem attraktiven Stand- ort zu machen. Dann besteht die Chance auf nachhaltiges Wachstum, das am Ende die Voraussetzung für tragfähige soziale Sicherungssysteme ist. Das ist es, was wir dringend benötigen in Deutschland … …wenn wir ehrlich sind, wissen wir das schon seit mehr als fünf Jahren. Veronika Grimm: Ganz genau! Die Strukturkrise begann schon 2017. Deutschland stagniert und hat jetzt gerade wie- der die Wirtschaftsleistung des Jahres 2019 erreicht. Die in- dustrielle Produktion ist extrem unter Druck durch die Kon- kurrenz aus Asien, die Exporte erholen sich nicht mit der 32 N o . 1/2025 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | Veronika Grimm | Wirtschaftsweise FOTO: © CHRISTOPH HEMMERICH » Deutschland stagniert und hat jetzt gerade wieder die Wirtschaftsleistung des Jahres 2019 erreicht. « Prof. Veronika Grimm, Technische Universität Nürnberg Notwendigkeit, die Wehrhaftigkeit von Deutschland wiederherzustellen.

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