Institutional Money, Ausgabe 1 | 2025
Sie haben die Systeme in verschiedenen europäischen Ländern analysiert. Können Sie von jedem der untersuchten Länder einen Aspekt der Altersvorsorge nennen, der dort besonders gut gelöst ist und den man vielleicht in anderen Ländern übernehmen sollte? Dr. Muriel Petersilie: Als positiv hervorheben möchte ich an den Systemen in Frankreich und in UK, dass beide misch- nanzierte bAV-Systeme haben und damit eben auch echte Arbeitgeberbeiträge. In Frankreich gibt es eine obligatorische zweite Säule: Arbeitnehmer werden automatisch für ein System angemeldet – es nennt sich Agirc-Arrco. Das heißt, sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber zahlen ab Diensteintritt Beiträge in ein bAV-System ein. In UK gibt es seit 2012 ein sogenanntes Auto-Enrolment (AE) System, das in etwa dem in Deutschland viel diskutier- ten Opting-out-Modell entspricht: Wenn Mitarbeitende mindestens 22 Jahre alt sind und mindestens 10.000 briti- sche Pfund pro Jahr (zirka 12.000 Euro pro Jahr) verdienen, sind sie automatisch in einem bAV-System angemeldet. Der gesamte Mindestbeitrag beläuft sich auf acht Prozent des pensionsfähigen Einkommens, wobei der Arbeitgeber-Min- destbeitrag drei Prozent beträgt. Nach einem Kalender- monat kann ein Mitarbeiter rausoptieren. Ein Arbeitgeber kann seinen Mitarbeiter jedoch nach drei Jahren wieder fragen, ob er es sich nicht noch einmal anders überlegen möchte. „Nudging“ (Schubsen) nennt man das in Großbritannien. Unter Berücksichtigung der kulturellen Gep ogenheiten könnte ein System wie in UK möglicher- weise gut für Deutschland sein. Es ist nicht ganz so starr wie das französische und bietet mehr Variabilität. Können Sie uns ein Element aus jedem der von Ihnen betrach- teten Systeme nennen, das sich als wenig praktikabel oder als überholungswürdig erweist? Info-Kasten Großbritannien Wie funktionieren die drei Säulen der Altersvorsorge? In Großbritannien müssen sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber in die 1. Säule einzahlen. Auch in die 2. Säule zahlen beide Parteien im Regelfall ein, jedoch kann ein Arbeitnehmer nach einem Monat wieder aus dem System herausoptieren. Die 3. Säule ist freiwillig. Ist die 1. Säule umlagefinanziert oder kapitalgedeckt? Sie ist, wie in Deutschland, komplett umlagefinanziert. Wie hoch sind die prozentualen Sätze vom Brut- togehalt, die Bürger (insgesamt) für ihre Alters- vorsorge aufwenden? Die Beitragssätze für die Sozialversicherung betra- gen in Großbritannien 13,25 % (Arbeitnehmer) und 13,8 % (Arbeitgeber). Der Gesamtbetrag für die 2. Säule liegt bei 8 % (Mindestbetrag für Arbeit- geber: 3 %). Zusammen sind das 35,05 % des Bruttogehalts. Wie viel die Menschen in die 3. Säule einzahlen, ist individuell unterschiedlich. Wie hoch sind die Renten der Bürger im Durch- schnitt (1. und 2. Säule)? Insgesamt sind es zirka 2.825 Euro, allerdings inklu- diert dies über die 1. und 2. Säule hinaus weitere Einkommensarten (z. B. aus Vermietung, Verpach- tung, privater Vorsorge). Hier ist anzumerken, dass dass es aufgrund des Brexits eine Herausforderung ist, vergleichbare Daten für UK zu finden. Außerdem sind die Lebenshaltungskosten in UK tendenziell et- was niedriger als in Frankreich. Sind Beamte in einem Sondersystem oder im allgemeinen System? Das System für Beamte ähnelt sehr stark dem System der Privatwirtschaft. Wann war die letzte große Altersvorsorge- reform? Die letzte größere Reform fand 2016 statt. Damals ging es um eine Erhöhung der State Pension. Weitere Reformen des Systems sind zu erwarten, da die demografische Entwicklung ja weiter eine Heraus- forderung für die Rentensysteme in Europa bleibt. N o . 1/2025 | institutional-money.com 243 Dr. Muriel Petersilie | Fidelity | PRODUKTE & STRATEGIEN FOTO: © CHRISTOPH HEMMERICH » In UK hat man erst nach zehn Jahren Beitragszahlung einen Anspruch auf eine Rente aus der ersten Säule. Das ist vielleicht etwas lang. « Dr. Muriel Petersilie, Head of Implementation and Service Delivery bei Fidelity
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