Institutional Money, Ausgabe 1 | 2025

teilweise wieder als Input verwenden. Ein solcher Zirkel- bezug würde die Aussagekraft erheblich reduzieren. Doch die Forscher sehen derartige Befürchtungen als unbegründet an. Schließlich ist es die Hauptaufgabe der Analysten, Cash- ow-Prognosen für einzelne Unternehmen zu erstellen. Alles weist darauf hin, dass sie dabei einen Bottom-up- Ansatz verfolgen, der auf tatsächlichen Informationen der Rechnungslegung und des Managements sowie Prognosen für die Gesamtwirtschaft beruht. Ergebnisse Inwieweit kann nun die Variation der erwartungsbasierten Renditen die durchschnittlichen Faktorrenditen erklären? Um das zu beantworten, nutzen die Forscher Analysten- prognosen zum künftigen Gewinnwachstum bei US-Fir- men von IBES. Sie konzentrieren sich dabei auf Median- prognosen zum Gewinn je Aktie, zu den Dividenden und zum langfristigen Gewinnwachstum über einen vollen Geschäftszyklus der Unternehmen (drei bis fünf Jahre). Zu- demwerden Daten von CRSP und Compustat einbezogen. Der untersuchte Zeitraum reicht von 1981 bis 2023, wobei einige Datenreihen in der ersten Hälfte noch sehr lücken- haft sind. Zunächst zeigen die Autoren, dass erwartungsbasierte Renditen große Teile des Value-Faktors und dessen zeitlicher Variation erklären können. Der verbleibende Rest ist klein, sodass wenig Spielraum für eine risikobasierte Erklärung bleibt. Das ist erstaunlich. Denn Renditeanomalien lassen sich darauf zurückführen, dass die Erwartungen über das künftige Gewinnwachstum bei Growth-Aktien zu positiv und bei Value-Aktien zu negativ sind. Umgekehrt wäre es auch möglich, dass Value underperformt, wenn die Aussich- ten wachstumsstarker Firmen im Vergleich zu Value-Unter- nehmen unterschätzt werden. Die Forscher erweitern ihre Untersuchungen auf die Stan- dardfaktoren Size, Investment und Momentum. Auch hier gibt es nach Berücksichtigung erwartungsbasierter Renditen nur wenig Erklärungsspielraum. Der Markt schätzt weder konservative Unternehmen als riskanter ein als aggressive noch kleine als riskanter als große oder Outperformer als riskanter als Underperformer. Stattdessen scheinen Analysten und der Markt systematisch zu optimistische Erwartungen in Bezug auf Unternehmen in den Short-Portfolios relativ zu den Long-Portfolios zu haben. Tatsächlich schneiden Erstere dann aber imDurchschnitt schlechter ab, weil dieser relative Optimismus systematisch abnimmt, wenn verzerrte Erwartungen beim Eintre en von Nachrichten korrigiert werden. Dazu passt die in der Literatur dokumentierte Erkenntnis, dass sich Renditeanomalien vor allem an Tagen mit Quartalszahlen und Unternehmensnachrichten realisie- ren (Paper „Anomalies and News“). Im Durchschnitt kön- nen die Erwartungen über längere Zeithorizonte bis zu 60 Prozent der Renditevariationen zwischen den Faktoren erklären. Eine Ausnahme ist der Faktor Pro tabilität. Marktineffizienz wahrscheinlich Besonders interessant ist, dass die Rendite-Spreads vorherseh- bar hoch sind, wenn die Analysten die jeweiligen Short-Port- folios sehr optimistisch einschätzen. Das deutet darauf hin, dass Marktine zienz im Spiel ist: Die Di erenzen kommen zustande, weil das realisierte Gewinnwachstum der Aktien in den Short-Portfolios im Vergleich zu den Long-Portfolios systematisch enttäuscht. Genau diese Muster sind es auch, die durch die Faktoren erfasst werden. Um das zu verdeut- lichen, zeigen die Forscher, dass künftige erwartungsbasierte Renditen auf Unternehmensebene anhand von Merkmalen wie dem Buchwert/Marktwert-Verhältnis, Size oder Momen- tum vorhersehbar sind. Statt für Risikofaktoren stehen diese Merkmale also für verzerrte Erwartungen und spätere Kor- rekturen der Prognosen. Wenn die Renditemuster aber überwiegend Erwartungen und nicht Risiken widerspiegeln, wäre es nicht angemessen, diese bei der Berechnung von Überrenditen zu berücksich- tigen, wie es sowohl in der Forschung als auch in der Praxis regelmäßig geschieht. Viele empirische Ergebnisse der ver- gangenen Jahre könnten fälschlicherweise verworfen wor- den sein, weil sie in klassischen Faktormodellen auf eine bloße „Risikokompensation“ zurückgeführt wurden. In Wahrheit könnten sie durch Erwartungen bedingt sein. Schlussfolgerungen Es ist nichts Neues, dass Aktienkurse auf Zukunftserwartun- gen basieren.Neu ist aber die Erkenntnis, dass die Erwartun- gen systematisch verzerrt sind und Faktorprämien erklären können. Eigentlich sind es also Erwartungsfehler, die Ano- malien verursachen. Faktoren wie Value oder Momentum funktionieren nur, weil sie darauf basierte Überraschungen vorhersagen. Sie sind gewissermaßen eine Möglichkeit, auf systematische Muster zu setzen, mit denen sich die Markt- teilnehmer bei ihren Prognosen irren. Um zu dieser Er- kenntnis zu gelangen,muss lediglich die Standardannahme rationaler Erwartungen aufgeweicht werden, die so mancher Praktiker schon länger hinterfragt. Sollte sich das auch in der Forschung durchsetzen, dürften wir bald mehr aus dieser Richtung hören. Die von vielen Investoren verfolgte Strate- gie, passive Ansätze mit sorgfältig ausgewählten aktiven zu kombinieren, scheint im Licht dieser neuen Erkenntnisse aber äußerst sinnvoll zu sein. DR. MARKO GRÄNITZ N o . 1/2025 | institutional-money.com 115 Faktorinvestments | THEORIE & PRAXIS Mehr Informationen finden Sie unter: im-online.com/ PRO5125 » Die zeitliche Variation der Rendite-Spreads ist vorhersehbar. « Bordalo, P. / Gennaioli, N. / La Porta, R. / Shleifer, A. (2024), Finance Without Exotic Risk, NBER Working Paper

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