Institutional Money, Ausgabe 4 | 2024

Inwiefern? Prof. Hélène Rey: Auch der chinesische Devisenmarkt ist bis- her noch sehr stark unterentwickelt. Aber China versucht bewusst, seinen Finanzmarkt stetig weiterzuentwickeln, ganz einfach weil es sich der Probleme finanzieller Instabilität be- wusst ist.Die dortige Politik weiß sehr genau um die Gefahr von Finanzkrisen, die bei einer zu schnellen Öffnung ihres Finanzmarktes entstehen könnten. Dazu hat man zu viele solcher krisenhaften Entwicklungen beobachten können. Deshalb ist die chinesische Führung nicht naiv und hat bewusst in die Regulierung ihrer Märkte investiert. Nicht nur, um Absicherungsinstrumente aufzubauen, auch mithil- fe von Swap-Linien versuchen die Chinesen, den Yuan zu einer zuverlässigeren Währung für die Menschen weiterzu- entwickeln, die mit ihnen entlang der Belt and Road Initia- tive Geschäfte machen. Nicht zu vernachlässigen ist auch, was im Bereich des Digitalen Zentralbankgelds, dem soge- nannten CBDC, und entsprechender grenzüberschreitender Zahlungssysteme passiert, die über Blockchains eingerichtet werden und effektiv disintermediär für das Correspondent Banking wirken werden. Zu behaupten, da passiert nichts, wäre daher nicht richtig. Bisher hat das alles aber noch bei Weitem nicht die Größenordnung erreicht, die den US-Dol- lar in irgendeiner Weise gefährden könnte. Und der Euro? Müssen wir die Hoffnung begraben, dass der Euro eines Tages zu einem mächtigen Konkurrenten des US-Dollars werden könnte? Prof. Hélène Rey: Von der Größenordnung her bleibt der Euro ohne Zweifel auch auf lange Sicht die bei Weitem zweitbedeutendste Währung in der Welt. Daher sollte man ihn ganz sicher nicht kleinreden. Und die Gründe, warum der Euro noch nicht die notwendige Größenordnung erreicht hat, um dem US-Dollar ernsthaft Konkurrenz zu machen, kennen wir schließlich: Zum einen haben wir in der Europäischen Union im Bereich der Verschuldung über festverzinsliche Anleihen bei Weitem noch nicht die Größe der US-Währung erreicht, ganz zu schweigen von einem in- tegrierten Anleihenmarkt. Zum anderen haben wir bis heu- te keine Kapitalmarktunion, über die seit mehr als 30 Jahren diskutiert wird, ohne dass wir auch nur in die Nähe eines integrierten Bankenmarktes gekommen wären. Deswegen können wir nicht erwarten, eine starke Souveränität auf der Währungsseite auf der Basis eines vollkommen unintegrier- ten Marktes aufzubauen.Wir brauchen die Größe, und wir brauchen auch die Integration, um in dieser Frage voranzu- kommen.Was natürlich umso schwieriger ist in einer Situa- tion, in der unsere europäischen Volkswirtschaften sich in einer Abwärtsspirale befinden und weder mit den USA noch mit den asiatischen Märkten Schritt halten können. Das bringt mich zu einer abschließenden Frage: Machen Sie sich eigentlich Sorgen, wenn immer häufiger von einer Deglobali- sierung die Rede ist? Prof. Hélène Rey: Ehrlich gesagt, finde ich es sogar irrefüh- rend, überhaupt von einer Deglobalisierung zu sprechen. Denn die Zahlen signalisieren uns, dass das Welthandelsvo- lumen auch in der jüngeren Zeit insgesamt gar nicht gesun- ken ist. Daher ist die Globalisierung immer noch vorhan- den. Was allerdings zuzutreffen scheint, zumindest laut einem Arbeitspapier des IWF, das ist die Tatsache, dass es in- nerhalb der Handelsblöcke zu einer gewissen Umverteilung kommt. Und die Gründe sind sogar relativ leicht nachvoll- ziehbar. Wenn man zum Beispiel Exporte aus einem Land wie China mit Sanktionen belegt, dann entstehen mit der Zeit mehr chinesische Fabriken in Mexiko, die von dort aus Waren in die USA exportieren. Oder es entstehen mehr chinesische Fabriken in Vietnam oder in Malaysia, die in die USA exportieren. Gerade was den Handel betrifft, gibt es viele Möglichkeiten, Sanktionen gezielt zu umgehen. Was durchaus passiert, das ist eine Neuordnung der Lieferketten. Dann sieht es so aus, als ob der Handel zwischen China und den USA abnimmt, was aber gar nicht der Fall ist, wenn man die Lokalisierung der Lieferkette berücksichtigt. Wir danken für das Gespräch! HANS HEUSER 50 N o . 4/2024 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | Prof. Hélène Rey | London Business School FOTO: © AMY BIRTCHNELL » Die Zahlen signalisieren uns, dass das Welthandelsvolumen auch in der jüngeren Zeit insgesamt gar nicht gesunken ist. « Prof. Hélène Rey, London Business School

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