Institutional Money, Ausgabe 4 | 2024

sie zusätzliche Verluste ein, die eigentlich vermeidbar wären. Hintergrund dessen ist, dass der Emissionsmarkt in der EU nach einem festen jährlichen Zeitplan zur Überprüfung und Abgabe von Zertifikaten funktioniert, was vorherseh- bare Muster im Handel verursacht. Denn die regulierten Unternehmen müssen bis Ende April eine entsprechende Zahl von Emissionszertifikaten auf ihrem Konto abgeben, die ihren geprüften Emissionen entspricht. Doch viele Fir- men kaufen die fehlenden Papiere erst im April, wenn die Einhaltung der Vorschriften unmittelbar bevorsteht. Genau dann ist der Preis der Zertifikate vorhersehbar hoch. In der Folge weist dieser Monat während des gesamten betrachte- ten Zeitraums mit Abstand die größten Nettokäufe durch regulierte Unternehmen auf. Die hohe Nachfrage im Abga- bemonat führt zu Preissteigerungen von durchschnittlich mehr als zehn Prozent imApril. In einer Hochrechnung der Verluste der betroffenen Unternehmen betrachten die Autoren, welche Nettoanzahl an Zertifikaten während der Rückgabemonate erworben wurde und zu welchem Preis. Daraus resultieren geschätzte Gesamtverluste von fünf Mil- liarden Euro.Das entspricht etwa zwei Prozent des gesamten Handelsvolumens der regulierten Unternehmen. Wenige Gewinner Das dritte Ergebnis der Studie betrifft die andere Seite der Verteilung. Demnach handelt eine kleine Gruppe von Unternehmen, zu denen große Energiefirmen und spezia- lisierte Rohstoffhändler gehören, jedes Jahr eine übermäßi- ge Zahl an Emissionszertifikaten. Das bewegte Volumen dieser Teilnehmer beträgt konservativ geschätzt mehr als das Vierfache dessen, was sie in einem bestimmten Jahr abgeben müssten. Die Forscher vermuten, dass diese Akteu- re private Informationen über den Markt besitzen und deshalb in der Lage sind, systematisch Gewinne zu erzielen. Entsprechend kaufen (verkaufen) sie Zertifikate in der oft korrekten Erwartung, dass die Preise in Zukunft steigen (fal- len). Für einen Zeitraum von zwei bis zwölf Monaten ist der Zusammenhang auf dem Fünf-Prozent-Niveau signi- fikant. Die Autoren nehmen auch hier eine grobe Hoch- rechnung vor. Auf Basis der angenommenen Haltedauer von drei Monaten erzielten die betreffenden Unternehmen demnach während des Stichprobenzeitraums einen Gewinn von etwa acht Milliarden Euro. Passend dazu schreiben die Forscher, dass sich die Renditen der Zertifi- kate vor allem aufgrund der Aktivität dieser Vielhändler vorhersagen lassen. Ausblick Die untersuchten Daten reichen bis April 2020. Anschlie- ßend sind die Emissionszertifikate stark im Preis gestiegen. Allerdings können die Autoren derzeit keine Aussagen darüber treffen, ob sich die Effizienz des Marktes dadurch verbessert hat. Sie verweisen darauf, dass die EU die Daten des Emissionshandelssystems erst mit erheblicher Verzöge- rung veröffentlicht. Betrachtet man aber den untersuchten Zeitraum, zeigt sich, dass der Anteil inaktiver Teilnehmer im Zeitablauf nur moderat abgenommen hat. Andere Ineffi- zienzen des Systems wurden dagegen im Lauf der Zeit durchaus korrigiert – so zum Beispiel das Überangebot an Zertifikaten, das in der ersten Phase des Programms dazu geführt hat, dass der Preis zeitweise praktisch auf null fiel. Deshalb war die Effektivität des Systems damals umstritten. Doch das dürfte der Vergangenheit angehören. Nach einer jahrelangen Phase der Stabilisierung auf niedrigem Niveau geht der Trend heute in die andere Richtung. Im Frühjahr 2023 wurde erstmals die 100-Euro-Marke überschritten. Zuletzt fielen die Preise zwar wieder, doch die strukturelle Verknappung der Zertifikate wird anhalten.Damit steigt der Druck auf die regulierten Firmen, ihre Emissionen weiter zu reduzieren. Auf Basis des Szenarios der Forschungsgesellschaft Ener- data wäre bis 2030 eine Stabilisierung in etwa auf den jüngsten Niveaus zu erwarten. Später könnte es zu erheb- lichen Preissteigerungen kommen. Das Szenario basiert auf den Annahmen, dass die regulierten Firmen die realen Effekte der Verknappung der Emissionspapiere zukünftig unterschätzen und es bis dahin keine Anpassung des an- visierten Reduktionspfades gibt. Derartige Anpassungen sind in der Praxis aber denkbar und stellen deshalb eine entscheidende, bewegliche Variable für die künftigen Preis- erwartungen dar. DR. MARKO GRÄNITZ Deutlicher Preisanstieg im April Durchschnittliche Rendite der Emissionskontrakte nach Monaten seit 2008 Im April lagen die Renditen der Emissionszertifikate mit durchschnittlich etwas mehr als 10 Prozent am höchsten. Die große Nachfrage in diesem Monat dürfte zu dem starken Anstieg beitragen. Quelle: Borri, N. / Liu, Y. / Tsyvinski, A. / Wu, X. (2024), Inefficiencies of Carbon Trading Markets Jan. Feb. März April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Nov. Dez. -5 % 0 % 5 % 10 % Mittlere Monatsrendite N o . 4/2024 | institutional-money.com 141 Emissionshandel | THEORIE & PRAXIS FOTO: © UNIVERSITY OF CALIFORNIA BERKELEY » Einige regulierte Firmen handeln spekulativ und nutzen dabei wohl private Informationen. « Xi Wu, Assistant Professor, Haas School of Business, University of California Berkeley Im April, wenn die Einhaltung der Vorschriften unmit- telbar bevorsteht, ist der Preis der Zertifikate vorher- sehbar hoch.

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